Marshall JCM 2000 TSL 100

Allrounder mit Biss

ein Test von Hansi Tietgen

Mit dem Release des DSL 100 setzte Marshall im Segment der Vollröhrenamps 1997 neue Maßstäbe. Damals war sich die Fachpresse einig: der DSL ist der beste Marshall-Amp, den es jemals gab. Und auch sein dreikanaliger Bruder, der ein Jahr später vorgestellte TSL 100 sorgte bei Gitarristen weltweit für Furore. Konsequent als extrem vielseitiger Allrounder konzipiert, sollte der Amp in der Lage sein, in jeder Stilistik ein Zuhause zu finden. Klar, dass bei all diesen Superlativen auch das Interesse des PG Team geweckt wurde. Also haben wir uns kurzer Hand einen TSL 100 beim deutschen Vertrieb besorgt und das schmucke Topteil intensiv ins Gebet genommen.


Bedienung und Konzept

Die Basis des Triple Super Leads bildet dieselbe Soundtechnologie, die schon dem Dual Super Lead Flügel verliehen hat. Auch beim TSL ist also ein 100% reiner Röhren-Signalweg das Maß aller Dinge. Dabei kommen in der Preamp-Sektion vier ECC83 zum Einsatz. In der Endstufe werkeln vier EL34 Röhren um die Wette. Als waschechter 3-Kanaler ist der TSL mit drei vollkommen separat einstellbaren Kanalzügen ausgestattet. Die Anordnung der Bedienelemente auf dem marshallgüldenen Panel fällt sehr übersichtlich aus und macht die Arbeit mit dem Amp zum Kinderspiel. Los geht es rechts mit den Controllern der Clean-Sektion. Hier stehen folgende "Knobs" zur Verfügung:

# Clean Channel Gain Regler - Bei niedrigen Gain-Werten bleibt der Sound ultraclean - mit obertonreichem Unterton. Das konsequente Aufdrehen entlockt dem Amp zunächst vollere, wärmere Sounds, im letzten Viertel des Regelbereichs dann auch gemäßigte Zerrsounds (in ihrer Intensität abhängig von der verwendeten Gitarre/Tonabnehmern)

# Volume-Regler - Bestimmt den Pegel des zur Endstufe geführten Signals.

# Mid Boost Schalter - Boostet die Mittenperformance des Kanals, bei gleichzeitiger Neukonfigurierung der Bass-, und Trebleregelung.

# 4. Treble-, Mid-, und Bassregler - Die Klangregelung des Amp-Channels arbeitet vor der Gainstufe und ermöglicht so ein effektives Formen des Grundsounds.

Weitere Features des Clean-Kanals warten in der Mastersektion des Amps auf ihren Einsatz. So findet man hier zum Beispiel einen Reverb-Regler zur individuellen Anpassungen des durch den integrierten Accutronic-Federhall gelieferten Hall-Effekts. Aber das ist natürlich noch lange nicht alles, was der TSL in Sachen Effekten zu bieten hat. So verwöhnt der anpassungsfähige Allrounder gleich mit zwei separaten Effektwegen (Details später). Der Effektanteil am Gesamtsound des Clean-Kanals lässt sich, bei einem entsprechend angeschlossenen externen Effektgerät, mit Hilfe des FX Mix Reglers (unabhängig von der Einstellung des Lead-Channels) feinjustieren.

Als effektive Tools zur Anpassung des Kanal-Grundsounds an den persönlichen Geschmack des jeweiligen Users (und das individuelle Einsatzgebiet des TSL), haben sich bei unserem Test, neben der Klangregelung und dem Mid Boost, die Mastersektion-Features Presence-Regler und Deep-Switch erwiesen. Dabei fällt dem Presence-Regler die Aufgabe zu, die hohen Mitten und tieferen Höhen anzuheben und so den Charakter und das Durchsezungsvermögen des gelieferten Sounds nachhaltig zu beeinflussen. Die Deep-Schaltung erhöht das Bottom-End des Sounds in direkter Interaktion mit dem Widergabeverhalten des jeweils verwendeten Boxen-Setups und sorgt so für einen dichten, vollen Clean-Sound - ohne Wummer-Gefahr.

OD- Sektion

Die Kanalumschaltung am Amp erfolgt in zwei Stufen. Mit Hilfe des sogenannten Mode Select Switchs hat man die Möglichkeit zwischen den beiden "Haupt-Modi" Clean und Overdrive hin-, und herzuschalten. Im OD Mous angekommen lassen sich dann, anhand des OD1/OD2 Switchs, die Kanäle Crunch und Lead scharf schalten. Das Ganze geht aber auch direkt. Und zwar mit Unterstützung des im Lieferumfang enthaltenen 5-Wege LED Fußschalters. Der praktische Bodentreter erlaubt nicht nur die verzögerungsfreie Direktanwahl der drei Kanäle (inklusive übersichtlicher LED-Anzeige), sondern dient auch der Fernbedienung des integrierten Reverbs und der FX-Loop.

Im OD-Mode wollen wir uns zunächst dem Crunch Kanal widmen. Hier die zur Verfügung stehenden Regel-Instanzen im Überblick:

# Gain-Regler - der Channel ist von "Natur aus" mit wesentlich mehr Gain ausgestattet, als der Clean-Kanal. Im niedrigsten Regelbereich liefert der Amp cleane, bluesige Sounds. Durch konsequentes Aufdrehen geht er dann schnell in den Zerrbetrieb über, macht seinem Namen alle Ehre und versorgt mit einem breiten Spektrum cooler Zerrsounds - bis hin zum saftigen HiGain Crunch.

# Volumen Regler - Regelt die Lautstärke des Crunch-Channels im Verhältnis zu den anderen Kanälen des Amps.

# Tone-Shift Schalter- senkt den Mittenanteil des traditionell eher leicht mittenbetonten Marshall EQs breitbandig ab und erleichtert so die Suche nach "metalorientierten" Sounds.

# Treble-, Middle-, Bass-Regler - Die Klangregelung arbeitet "nach der Zerrstufe" und ermöglicht so eine effektive Kontrolle der übersteuerten Amp-Sounds.

Genau wie dem Clean-Kanal, stehen auch dem Crunch-Kanal in der Mastersektion zusätzliche Features zur Seite. Allerdings muss sich der "Crunch-Spezie" die kleinen Helferlein mit dem Lead-Channel teilen. Neben einem Reverb-Switch zur Anpassung des Reverb-Anteils am Gesamtsound des Kanals, sorgt ein FX Mix-Regler für eine zielgenaue Kontrolle des mittels eines externen Effektgeräts eingespeisten Effekts. Der Presence-Regler rüstet den Sound mit einem Plus an hohen Mitten und tiefen Höhen aus und beeinflusst auf diese Weise den Charakter der gelieferten Zerrsounds ganz erheblich. Bleibt uns noch der Deep-Switch. Wie eben schon erwähnt ermöglicht die für Marshall Vollröhrenamps typische "Deep-Schaltung" einen direkten Zugriff auf die Gegenkopplung der Bässe und damit z.B. auf das Soundverhalten beim Saitenanschlag. Gerade NuRocker werden diese Funktion zu schätzen wissen.

Kommen wir zu den "Bedienerle" des Lead-Channels, dem HiGain Spezialisten des TSL.

# Gain-Regler - Das Gainlevel und der Grundsound des Lead-Channels ist so ausgelegt, dass er ein extrem breites Spektrum der angesagtesten HiGain Sounds abdecken kann. Bei reduziertem Gain (oder Gitarrenvolumen) sind aber auch coole, durchsetzungsstarke Crunch-Sounds kein Thema.

# Volumen-Regler - Kontrolliert die Lautstärke des Lead-Channels im Verhältnis zu den anderen beiden Känalen des TSL 100.

# Tone-Shift Schalter - senkt den Mittenanteil des traditionell eher leicht mittenbetonten Marshall EQs breitbandig ab. Metalorientierte Scoop-Sounds sind mit dem TSL entsprechend problemlos zu realisieren.

# Treble-, Middle-, Bass-Regler - Auch die Klangregelung des Lead-Channels arbeitet nach der Zerrstufe" und ermöglicht so eine effektive Kontrolle der übersteuerten Amp-Sounds.

Der Lead-Channel teilt sich die "Masterfunktionen" Presence und Deep-Switch mit dem Crunch-Kanal. Auch im HiGain Biz leistet die Deep-Schaltung hervorragende Dienste und versorgt den Sound mit einer gehörigen Portion Bottom-End. Besonders positiv für OD-Junkies: auch bei extremerem Gain-Einsatz bleibt die Performance zu jeder Zeit differenziert und kontrollierbar.

Zusatzfeatures

Als praktisches Zusatzfeature hat sich während der Aufnahmesession zu unserem PG Gear Check, die sogenannte V.P.R. Schaltung (Virtual Power Reduction) erwiesen. Bei gedrücktem Schalter wird die Endstufe des TSL so modifiziert, dass sie den Sound und das Feel einer 25-Watt Endstufe erhält. Soweit, so gut. Der entscheidende Vorteil des Marshall V.P.Rs., im Vergleich zu manch anderem angebotenen System, ist die Tatsache, dass hier alle Röhrenstufen, inklusive der vier Power-Valves, voll im Signalweg verbleiben. Auf diese Weise behält der Sound -trotz massiver Leistungsdrosselung- alle seine Vorzüge. Auch auf der Bühne lässt sich das Feature natürlich gewinnbringend einsetzen, schließlich kann man dank V.P.R. die gesamte Dynamik und Intensität einer am Limit arbeitenden Röhrenendstufe nutzen ohne sich, seine Bandkollegen, oder den P.A. Mann auf direktem Wege in die Notaufnahme der Hals-, Nasen Ohren-Abteilung des nächstgelegenen Krankenhauses zu verfrachten (oder so ähnlich :o)). Um uns von der klanglichen Neutralität der Schaltung zu überzeugen haben wir, allen Tinitus Gefahren zum Trotz, den direkten A/B Vergleich gewagt und den Amp einmal mit und einmal ohne V.P.R ans Limit gebracht. Und tatsächlich können wir der coolen "Schalte" auch im knallharten Direkt-Vergleich hervorragende Klang-Eigenschaften attestieren. Der Charakter und die Dynamik, die die im hundert Watt Modus gespielte Endstufe bereit stellt, bleibt auch im V.P.R.Betrieb voll erhalten.

Loop-Talk

Der Amp ist mit einer üppigen Loop-Sektion ausgestattet. Gleich zwei parallel ausgeführte Effektwege sorgen dafür, dass auch all jene Gitarristen voll auf ihre Kosten die, job-bedingt, in kurzer Zeit die unterschiedlichsten Effekt-Sounds anbieten müssen. So werden Top 40 Gitarreros genauso gut bedient, wie stressgeplagte Studiomucker. Loop A ist - alleine benutzt - der Haupteffektweg des TSL und wird, gekoppelt an die Kanalwahl, der Clean-, und Overdrive-Sektion zugeschaltet. Anhand der getrennt arbeitenden FX Mix Regler der beiden Amp-Modes, ist dann eine kanalunabhängige Anpassung der Effektanteile möglich. Loop B ist speziell für den Crunch-, und den Lead-Kanal zuständig. Wird nur diese Loop belegt, werden also ausschließlich die OD-Sounds mit externen Effekten versorgt, der Clean-Kanal bleibt trocken. Der TSL stellt also zwei vollkommen unabhängig arbeitende Effektwege bereit und ermöglicht so ein sehr flexibles Einbinden externer Effektgeräte. Und auch die Wahl der verwendeten Effektgeräte gestaltet sich flexibel. Da jede der beiden Loops mit einem eigenen Loop-Level Switch ausgestattet ist, wird der Einsatz von HiTech 19" Equipment genauso unterstützt, wie das "Einschleusen" der Lieblingstretmine. Noch kurz was zu den FX Mix Reglern: da die Effektwege parallel ausgelegt sind, brauchen sich Röhrenpuristen keine Sorgen zu machen. Zum einen hat man die Möglichkeit bei "abgedrehtem" Effektanteil die kompletten Loops aus dem "Signalweg zu nehmen". Zum anderen wird der jeweilige Effekt dem unbearbeiteten Original-Signal nur zugemischt. Druck und Dynamik des puren Amp-Sounds bleiben also voll erhalten.

Emulated Line-Out

Der Line-Ausgang im professionellen XLR-Format, liefert ein mit einer Speakeremulation aufgearbeitetes Signal. Der Sound ist sehr gut und eignet sich ideal zur stressfreien Weiterverarbeitung in einem Aufnahmegerät/Mischpult oder der P.A. .

Praxis

Für den Test kam ein Marshall 1960 A Cabinet zum Einsatz, eine Box also, die wegen ihrer weiten Verbreitung in der Szene hinlänglich bekannt sein dürfte. Abgenommen wurde das Stack mit einem Sure SM 57 Mikrofon. Unser Test startet mit dem Clean-Kanal des TSL. Der Kanal liefert einen sehr brillanten Grundsound, über zu geringen "Höhen-Headroom" braucht man sich beim TSL also weiß Gott keine Gedanken zu machen. Aber keine Sorge. Dank der beherzt zugreifenden Klangregelung sind, trotz der sehr präsenten Basis, auch warme, seidige Sounds problemlos realisierbar. In Verbindung mit dem genial justierten Mid Boost, lassen sich dem TSL coole, anschmiegsame Funk-, und (cleane) Solo-Sounds entlocken. Bis ca. zur Hälfte des Gain-Regelwegs bleibt der Amp, trotz Humbuckereinsatz, absolut clean. Bei zunehmendem Gain wird der Sound dann immer dichter und im letzten Viertel liefert der TSL einen durchsetzungsstarken, organischen Crunch. Bei Singlecoil-Einsatz sind dann auch authentische hendrixtypische Akkord-Attacken und Fill Ins problemlos möglich. Und das ganz ohne Angst, die Teile könnten im Sound-Sumpf untergehen. Dank der sehr brillanten Auslegung, bleiben alle Riffs sauber ortbar und differenziert.

Auch dem Crunch-Kanal lassen sich (zumindest im unteren Gain-Level) nahezu cleane Sounds entlocken. Da der Grundsound des Kanalzugs weniger präsent angelegt ist, eignet sich der Crunch-Channel ideal zum Spielen warmen, saftiger Blues-Leads. Bei zunehmendem Gain zeigt der TSL einmal mehr, dass er würdig ist das Marshall-Logo zu tragen. Schließlich sind die Crunch-Sounds der Amps aus dem britischen Bletchley legendär. Riffs im Stil der australischen Kultrocker AC/DC macht der Triple Super Lead genauso möglich, wie crunchige Powerchord-Attacken im Stil von The Darkness. Bei voll aufgedrehtem Gain, aktiviertem Deep-Switch und Mittenabsenkung via Tone-Shift kommen aber auch NewRocker bereits voll auf ihre Kosten. Der gelieferte Sound ist fett, liefert ein ausgeprägtes Bottom-End und macht alle gängigen Drop Tunings klaglos mit. Dabei bleibt die Performance auch am Leistungslimit, souverän und transparent.

Wem das Gain des Crunch-Kanals nicht ausreicht, der sollte mal den Lead-Channel des Amps antesten. Über zu wenig Gain-Reserven braucht man sich hier ganz sicher nicht beklagen. Dank der hervorragend arbeitenden Klangregelung deckt der TSL alle wichtigen Einsatzgebiete ab. So sind sahnige, gaingeschwängerte Leads in allen Variationen (von rasiermesserscharf bis seidig weich) genauso im Angebot, wie superkrasse Metal-Riffs. Features, wie die Deep-Schaltung und der auch in der Lead-Sektion sehr effektiv arbeitende Tone-Shift erleichtern die Suche nach dem idealen Sound enorm. Nach ausgiebigen Sessions können wir sagen: es gibt keinen Sound,den man mit dem TSL nicht hinkriegen würde.

Fazit

Der TSL 100 ist ein echter Alleskönner, dessen drei vollkommen separat einstellbare Kanäle konsequent auf eine stilistisch flexible Performance getrimmt wurden. Hier kommen Hardcore-Metaller genauso auf ihre Kosten, wie stylische Popper oder eingefleischte Jazzer. Und mit gleich zwei Effektwegen, einer supereffektiv arbeitenden Klangregelung und der genialen V.P.R. Schaltung werden auch verwöhnte Freelancer und Studio-Haie bestens bedient. Doch obwohl schon alleine seine Ausstattung eine "Reise wert" ist, basiert der eigentliche Erfolg des TSL auf der perfekten Inszenierung des Mythos Vollröhren-Verstärker. Seine warme, sustainreiche Performance, eine überragende Dynamik, eine supersensible Ansprache und gigantische Gain-Reserven lassen das Herz eines jeden Gitarristen höher schlagen und machen den Amp zu einer extrem schlagkräftigen Waffe, im tägliche Kampf um den ultimativen Gitarren-Sound. Der TSL hat das Zeug zum Klassiker. Unbedingt antesten!

Specs

  • Hersteller: Marshall
  • Amp: JCM 2000 TSL 100
  • Typ: 100 Watt Vollröhren Topteil 3-Kanal (Kanal 1= Clean , Kanal 2=OD 1/Crunch Kanal3= Higain)
  • Röhren: Endstufe 4xEL34, Vorstufe 4x1ECC83 (12AX7)
  • Eingänge: Input, 2 x FX Return, Fußschalter
  • Ausgänge: 2 x FX Send, 3 x Speaker Outs, Emulated Line Out
  • Schalter: Power, Standby, 2x Loop Level,Impedanz-Wahlschalter Output Mute, V.P.R., 2x Deep Switch, 2x Tone Shift, Mode-Select, Od1/OD2 Switch 3x Channel-Switch, FX Loop Mode-Switch
  • Regler Clean: Gain, Volume, Bass, Mid, Treble, Presence, FX Mix, Reverb
  • Regler OD1: Gain, Volume, Bass, Mid, Treble
  • Regler OD2 3: Gain, Volume,Bass, Mid, Treble, Presence, FX Mix, Reverb für OD1/OD2
  • Effektweg: 2x (parallel + schaltbar)
  • Abmessungen: 74cm, 28.5cm, 21cm (inklusiv Füße)
  • Preis: 1.529 Euro, unv. Preisempfehlung

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